Bezirke handlungsfähig halten - wichtige Personalgruppen schützen

Stellungnahme der SPD-Fraktionsvorsitzenden in den Bezirksverordnetenversammlungen Berlins
Siedlung Westend
© Andy Kuzma
 
Infolge der Corona-Pandemie, des Angriffskrieges Putins auf die Ukraine,
der Aufnahme Geflüchteter und des Energiepreisschocks hat sich das
Haushaltsvolumen Berlins aufgrund der notwendigen und richtigen
Maßnahmen zur Krisenbewältigung auf zeitweise über 40 Mrd. EUR
gesteigert. Trotz dieser zusätzlichen Mittel ist die finanzielle Decke im
Land kleiner geworden und führt absehbar auch in den Bezirkshaushalten
zu deutlichen Einsparungen. Im Rahmen der Haushaltsverhandlungen auf
Landesebene wurden zwischen den Koalitionsspitzen etliche Sparvorgaben
ins Auge gefasst, die unterschiedlichen Einfluss auf die Arbeit der Bezirke
haben. Kritisch sehen wir das Vorhaben, dass die Pauschale
Minderausgabe (PMA) nicht mehr aus unbesetzten Personalstellen belegt
werden soll.

Die Pauschale Minderausgabe (PMA) stellt pauschal dar, in welcher Höhe
ein Bezirk in der Haushaltswirtschaft noch Einsparungen erbringen muss.
Die Ausweisung von Finanzierungsdefiziten durch eine PMA ist in Berlin
geübte Praxis, schon weil zum Zeitpunkt der Haushaltsplanaufstellung
nicht alle Veränderungen im dann laufenden Haushaltsjahr absehbar sind
– etwa durch Verzögerungen oder Beschleunigung von Vorhaben oder bei
der notwendigen Einstellung qualifizierter Mitarbeitenden. Die PMA ist
damit ein notwendiges Instrument, um vor Ort im Bezirk flexibel auf
konkrete Umstände reagieren zu können. In der Praxis führt dies auch
dazu, dass zur Erbringung der Einsparvorgabe nötige, aber nicht besetzte
Stellen herangezogen werden. Ein nachträgliches – zum Zeitpunkt der
Haushaltsaufstellung in den Bezirken nicht absehbares – Ausschließen der
Heranziehung unbesetzter Stellen würde einige Bezirke nun zusätzlich in
akute Bedrängnis bringen.

Die Folge wäre, dass bei konkreten Projekten eingespart werden müsste,
beispielsweise bei kommunalen Einrichtungen wie Bibliotheken und
Senioren- oder Jugendfreizeiteinrichtungen. Auch die vielen kleinen
Nachbarschaftsfeste, Weihnachtsmärkte, Ehrungen von Ehrenamtlichen
und Sportler*innen gerieten bei weiteren Einsparerfordernissen in den
Fokus. Alle beispielhaft aufgeführten Maßnahmen bedeuten einen
staatlichen Rückzug aus dem öffentlichen Raum. Es werden vielen
Menschen wichtige Anlaufstellen des Alltags genommen. Der soziale Kit
fehlt, der unsere Gesellschaft zusammenhält. Es entstünde der Eindruck,
dass wir die Menschen in ihren Anliegen nicht ernst nehmen, ihnen ihre
Räume nehmen oder Orte des öffentlichen Lebens verwahrlosen lassen.
Der haushaltspolitische Ausdruck dieser Kürzungen wäre allein aufgrund
der Unklarheiten bereits zu Beginn des Haushaltsjahres 2024 eine
Haushaltssperre in einigen Bezirken.
 
Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass das Augenmerk deutlich stärker
auf das bezirkseigene Personal gerichtet wird und mit einem massiven
Stellenabbau bzw. der Nichtbesetzung offener Stellen einhergehen wird,
wie zu Beginn der 2000er Jahre. Damals mussten Einsparvorgaben erfüllt
werden und es wurde breit am Personal gespart. Folge davon war nicht
nur die Überlastung der übriggebliebenen Mitarbeitenden, sondern auch
eine in weiten Teilen nicht funktionierende Verwaltung. Berlin braucht
jedoch eine funktionierende und moderne Verwaltung, so wie es die
Fraktionen auch im Koalitionsvertrag festgehalten haben. Dazu gehört gut
ausgebildetes, motiviertes und zufriedenes Personal genauso wie eine
adäquate Infrastruktur und technische Ausstattung.

Damit es nicht so weit kommt, fordern wir:
 
  • Eine verlässliche Zusammenarbeit zwischen Land und Bezirken. Im
    Interesse der gemeinsam angestrebten Verwaltungsmodernisierung
    und guter Bürgerdienstleistungen durch die Bezirke müssen alle an
    einem Strang ziehen. Dies bedeutet auch, sich kooperativ auf
    gemeinsame Anstrengungen zu verständigen und nicht einseitig
    nach Beschluss der Haushalte in den Bezirken die Regeln zu ändern.
  • Eine Garantie die Stellen zu schützen, die für rechtlich erforderliche
    Leistungen notwendig sind, wie in den Sozial- und Jugendämtern. Die
    Bearbeitung von Grundsicherungsanträgen, Wohngeld, der
    Kinderschutz und die Familienhilfen darf nicht dem Spiel mit den
    Zahlen zum Opfer fallen.
  • Ein Angleich der Gehälter in den Bezirken an Landesgehälter. Denn
    nur, wenn wir in den Bezirken adäquat bezahlen können, sind wir
    konkurrenzfähig und können offene Stellen zügig besetzen. Eine
    unterschiedliche Bezahlung darf sich nur aus der ausgeübten
    Tätigkeit ergeben, nicht aber aufgrund des Arbeitsortes Land oder
    Bezirk.
  • Die Bürgernahe Verwaltung ernst nehmen und ausbauen. Lange
    Wartezeiten auf Termine oder lange Bearbeitungszeiten von
    Passangelegenheiten, Geburtsurkunden sowie Eheschließung oder
    Sterbeurkunden sind nicht hinnehmbar. Einsparungen bei den
    Bürger- und Standesämtern sind damit auszuschließen.
  • Eine Antwort auf den Fachkräftemangel. Wir brauchen nachhaltige
    Investitionen in Ausbildung und eine Übernahmegarantie in den
    öffentlichen Dienst. Um vorhandene Mitarbeitende und besonders
    Quereinsteigende zu unterstützen, ist auch nötig ausreichend
    Angebote an der Verwaltungsakademie Berlin vorzuhalten. Monate-
    oder jahrelange Wartezeiten auf eine dringend notwendige Schulung
    sind eine Verschwendung von Arbeitskraft. 
  • Ein Blick auf die Fachkräfteentwicklung der Freien Träger im Jugend-
    und Senior*innenbereich. Diese benötigen verbindliche Zusagen über ein Jahr hinaus, um Sozialarbeiter*innen und Erzieher*innen
    eine Perspektive bieten zu können. 
  • Eine echte digitale Verwaltungsreform. Es ist endlich eine
    ernstzunehmende digitale Verwaltungsreform erforderlich, die
    Prozesse effizienter gestaltet und nah an den realen Arbeitsabläufen
    der Mitarbeitenden der Verwaltung liegt. In diesem Zusammenhang
    ist der derzeitige Prozess für die Einführung der E-Akte zu
    hinterfragen.